IGNORIEREN
GETARNT ALS INTELLIGENZ
Da sitzt du vor deiner Schreibmaschine und versuchst dich mal wieder an einem neuen Artikel für deinen BLOG auf deiner Seite. Tagelang nur Leere, nicht ein einziges kleines Blitzchen welches mich anfunzt, nichts was meine Dunkelheit erleuchtet . Meine alten Bekannten, der Dings, die Vergesslichkeit und das Andere tragen auch nicht unbedingt dazu, neue Schreibergüsse auf Papier zu bringen. Wenn mir also wirklich überhaupt nichts Gescheites mehr einfällt, schalte ich einfach mal die Klapperkiste stromlos, schiebe meine Flatis in unseren Bus und fahre an Orte an denen sich gerne Reineke Fuchs und Meister Lampe gute Nacht sagen. Meine drei Hundedamen sind mit ihrer Art und ihrer Offenheit gegenüber allem Neuen immer ein Quell der Freude und inspirieren mich jedes mal von neuem. Ich muss dieses mal aber ehrlicherweise zugeben, die Initialzündung zu diesem Blog entsprang diesmal ganz unsentimental und spontan aus einem medialen Marktplatz „Hier kannst du 1000 dumme Fragen frägen und noch mehr dümmliche Antworten erhalten!“
SCHWARMINTELLIGENZ
Fakten und das Lob der Torheit
Ich bin ja gerne mal sarkastisch und hi und da auch manchmal mehr als notwendig polemisch. So bin ich per se kein Freund von der gerühmten Schwarmintelligenz, verstehe aber, dass man trotzdem jedem eine eigene Meinung zugestehen muss. Selbst Dumme haben manchmal etwas gescheites beizutragen, sofern es wirklich und ausschließlich nur dem eigentlichen Ziel dienlich ist. Erich von Holst (Zoologe 1908-1962) experimentierte in den 1940er Jahre mit Elritzen, denen er das Vorderhirn weg operierte. Das Experiment war unter „Die hirnamputierte Elritze“ oder „Das sogenannte Böse“ berühmt und bestätigte dadurch Belege einer tatsächlichen vorhandenen Schwarmdummheit.
Ende des 19en Jahrhunderts begann Alfred Binet von der Sorbonne damit, Schädel von Menschen zu vermessen um deren Intelligenz zu bestätigen. Er versuchte eine Beziehung zwischen der Intelligenz von Messpersonen und deren Volumen ihres Kopfes herzustellen. Er schloß daraus, daß die Korrelation zwischen Kopfvolumen und Intelligenz als unbestreitbar anzusehen ist. Wir messen heute zwar nicht mehr die Kopfgröße unseres Gegenübers, könnten aber selber unseren eigenen Grips mal einschalten um vieles, was wir nicht kennen oder nicht verstehen zu hinterfragen. Dummheit im Netz ist nicht immer als solche zu erkennen und versteckt sich raffiniert und effizient hinter Halbwissen von Scheinriesen. Charme, Pathos, Geschwätzigkeit und laxer Umgang mit Internetfakten werden in ihrer Wirksamkeit überschätzt. Der Erwerb von wirklichem Faktenwissen ist leider sehr mühsam und zeitraubend. Geschwätz dagegen tut’s auch und oft sogar effektiver, besser und vor allem schneller.
VON NICHTS KOMMT NICHTS
Jetzt sollte ich mich aber wieder mal an meinen eigentlichen Artikel im Blog besinnen und beschreiben wie es zu dieser Initialzündung kam. Im Forum las ich dazu kürzlich die Frage:
„Wie bekomme ich das Futterbetteln meiner Hündin im Griff?“.
Prompte Antwort:
„Du musst sie einfach ignorieren!“
Ehrlich….,da kannst du vielleicht dein Fahrrad ignorieren, wenn es einen Platten hat. Aber ich schwöre dir, es wird morgen immer noch platt da stehen. Von nichts kommt halt eben nichts und von ignorieren wird niemand gescheiter. Wahrscheinlich wurde ja wirklich auch schon alles mal irgendwann alles von jedem gesagt? Kann ja sein! Vielleicht haben es aber noch nicht alle gehört oder sie haben das, was sie gehört haben, nicht innerhalb eines Kontextes verstanden, falsch interpretiert oder einfach falsch verstanden?
Es ist schon alles gesagt, nur nicht von allen
(Karl Valentin 1882-1948)
Ich möchte Hundebesitzer dazu animieren, versuchen zu verstehen, dass hinter Ignorieren keine wirkliche Strategie steckt. Ignorieren oder Schweigen ist weder ein Lernen noch ist es eine Erziehung, sondern erzeugt beim Lehrer und beim Lernenden kein nachhaltiges Wissen. Ignorieren ist zudem ein Ausdruck passiver Gewalttätigkeit und eine Strategie des psychologischen Missbrauches. Im Klartext: Es ist nichts anderes als eine Missachtung von hochsozialen Wesen und entspricht in keiner Weise einer kompetenter Erziehung. Wir wissen heute, dass Hunde Sach- und Beziehungsaspekte in Botschaften differenziert erkennen und sogar in der Lage sind solche nur anhand von Stimmungen zu erkennen. Auch wissen wir heute, dass soziales Lernen in ihrer Individualentwicklung eine wesentlich größere Rolle spielt als noch vor einigen Jahren vermutet. Ignorieren dagegen können Hunde different weder innerhalb einer Kommunikation noch während einer operanten Konditionierung erlernen. Auch über die ausschließlich reduzierte klassische Basis der Theorie über Reiz und Reaktion wird kein einziger Hund ein erwünschtes oder unerwünschtes Verhalten erkennen oder sich entsprechend verhalten wenn man sein momentanes Verhalten ignoriert. Ignorieren ist so etwas wie erlauben.
IGNORIEREN IST UNSICHERHEIT
Ignorieren ist generell immer ein Ereignis von Unsicherheit weil meistens geeignete Alternativen fehlen. Hunde benötigen einen sicheren und kompetenter Besitzer welcher ihnen hilft, die Unbillen ihrer momentanen Umwelt zu meistern. Bei der Strategie des Ignorierens und des Schweigens bleiben letztlich sowohl der Lehrer und auch sein Schüler gleich dumm. Es ist so etwa, wenn sich kleine Kinder die Augen zuhalten und glauben, dass man sie nicht sieht. Hinter einer Perspektive des Ichs und des Dus von einander zu trennen, können sich weder Besitzer noch Hund verstecken. Erziehung heißt ein lebenslanges Lernen als Austausch im sozialen Kontext in einer bestehenden Gruppe oder eben innerhalb unserer Familie. Eine Familie lebt nicht von Ignoranz. Ignorant zu sein kann man nicht alleine. Man benötigt dazu andere Menschen, andere Tiere und in unserem speziellem Fall halt eben unsere Hunde. Andere zu ignorieren zeugt von einer großen Gleichgültigkeit und Desinteresse an seinem Gegenüber, zeugt gleichzeitig auch von wenig bis keiner Empathie.
WER IGNORIERT HIER EIGENTLICH WEN?
Man braucht weder den großen Houdini noch eine Kristallkugel zu bemühen um den Sozialstatus zwischen Mensch und Hund zu erkennen. Dazu muss man nur mit offenen Augen auf Deutschlands Hundewiesen oder Hundeplätze schauen. Zwischen Garmisch und Flensburg wird ignoriert, keiner merkt es, alle machen mit und noch besser, alle meinen es sei eine Erziehungsstrategie. Alles was du nicht tust wenn du einfach nur daneben stehst oder nur zuschaust, nennt man ignorieren. Ignorieren ist trotzdem, auch wenn es niemand hört, eine aktive Antwort auf eine Frage. Dein Hund macht es, wenn er z.B. auf deinen Pfiff oder auf deinen Rückruf erst später oder gar nicht kommt. Nur…….er macht das diffiziler, perfekter, trickreicher als sein Besitzer und dabei ist er mit dieser Strategie meist sehr erfolgreich. Durch sein Ignorieren erkennt er deutlich, dass seine Strategie zielführend ist und sein momentanes Tun für dich in Ordnung sein muss. Er kann dadurch auch keinerlei Verbindung mit einem evtl. Fehlverhalten erkennen und noch schlimmer: Er erkennt … und lernt… darin keine einzige zielführende Regel einer sozialen Bindung. Einmal nichts gesagt (also Ignoriert) ist tausendmal erlaubt.
ZUM IGNORIEREN GEHÖREN IMMER ZWEI
Kommen wir wieder zum Anfang unseres eigentlichen Problems des „Futterbettelns“ und das erfolgreiche Lösen innerhalb einer Schwarmintelligenz. Beschäftige dich lieber mit deinem Hund, arbeite an eurer beider Verständigung und an eurem gegenseitigen Vertrauen. Vertrauen und Bindung bekommst du weder bei Dr. Google und auch nicht, wenn dir irgendwer rät, deinen Hund zu ignorieren. Wenn dich dein Hund an der Leine stundenlang durch die Pampa zieht, sich dein Schultergelenk nach einem guten Orthopäden sehnt, wirst du garantiert nicht weiterhin versuchen sein Tun zu ignorieren. Warum machst du das dann beim Leckerli betteln? Weder das eine noch das andere wird sich auf Dauer von selber erledigen. Ignorieren ist eine Strategie bei der niemand eine Alternativhandlung lernen könnte. Der Hund als hochsoziales und intelligentes Wesen lebt über Kommunikation. Alles andere sieht er als Bestrafung. Also, gib ihm einfach das Leckerli oder besser lass es und gib ihm verdammt nochmal ein alternatives Verhalten damit er etwas lernt. Aber zum Teufel, lass ihn nicht dumm sterben. Das tun Freunde nämlich nicht.
DU WIRST IMMER VERLIEREN
Wenn dein Hund neben dir sitzt und dabei jeden deiner Bissen mit abzählt, kannst du nicht so tun als ob du ihn gerade ignorierst. Spätestens dann, wenn sein Sabber literweise auf den Teppich läuft, spätestens dann, vielleicht nur für eine zehntel Sekunde und nur mit einem halben Auge, wirst du in diesem Augenblick verloren haben. Und genau jetzt ist sein großer Auftritt. Er weiß genau, dass du ihn damit meinst. Du kannst halt einfach nicht nicht kommunizieren. Selbst schweigend stehst du ständig im Austausch mit deinem Hund. Pantomimen in der Fußgängerzonen können es, Salzsäulen aus Sodom können es und Marionetten mit ihren Holzköpfen können es auch. Nur du kannst es nicht. Versuche es, du wirst kläglich scheitern. Dein Hund weiß das, er kennt dich und deine Macken genau.
AUF DEM PUNKT GEBRACHT
Hund und Mensch müssen lernen ihre Gefühle und Emotionen gegenseitig wahrzunehmen. Dabei hat jeder seine eigenen Charakter und seine eigenen Wünsche. Der andere hat das zu respektieren und ggf. zu tolerieren. Bestehen innerhalb sozialen Gemeinschaften andere Meinungen oder hat man nicht gelernt Gefühle und Emotionen anderer zu deuten, kommt es zu Konflikten. Hundebesitzer müssen lernen, soziale Kompetenzen zu fördern um damit beide erfolgreich innerhalb ihrer Gruppe agieren können. Es ist die Voraussetzung einer funktionierenden Gemeinschaft. Zu einer Überprüfung der eigenen Selbstwahrnehmung gehört also bestimmt kein Ignorieren.
IGNORIEREN
WENN ÜBERHAUPT, DANN BITTE RICHTIG
Jeder Hund muss sich innerhalb seines aktuellen Lebensumfeldes sicher entwickeln dürfen und daneben auch lernen, seinen festen Platz innerhalb seiner Familie zu finden. Die eigentliche Entwicklung eines Hundes besteht zu einem aus einem informellem und zum anderen aus einem formellem Teil seines Lernens. Das informelle Lernen mit deinem Hund ist das soziale Lernen um nicht zu sagen, es ist das Filetstück innerhalb deiner Familie. Lernen wie Familie tickt und funktioniert erfordert von seinem Besitzer ein gutes Gespür, große Empathie, viel Bauchgefühl und ein erzieherisches Können welches er an seinem Hund weiter geben kann. Innerhalb seiner sozialen Gruppe ist es dazu zwingend notwendig, dass er sich in seinem Lehrer wieder erkennen kann. Er lernt aber absolut nichts, wenn sich sein Lehrer abwendet und ihn ignoriert. Das ist weder ein Lernen ,noch weder ist es eine Kommunikation und schon gar keine Erziehung.
Das Gegenstück zur sozialen Erziehung ist das formelle oder auch die formale Erziehung. Diese ist immer auf einen festgelegten Lerninhalt und auf ein Ziel hin festgelegt. Meistens erfolgt es innerhalb eines konsequenten Lernzieles, innerhalb eines abgesicherten Rahmens und orientiert sich letztlich immer am Erfolg oder an einem Gewinn. So orientiert sich das Lernen oft an Dritten, ist meist fremdgesteuert und hat einen verpflichtenden Charakter. Hunde erkennen, im Gegensatz zum Besitzer, das eigentliche Ziel einer Übung bzw. das Ziel des Lernens gar nicht. Wenn er dabei den eigentlichen Sinn wirklich verstanden hätte, müsste er auch in der Lage sein einen Fehler zu erkennen und ihn selbständig zu verbessern. Hunde erkennen während ihrer formalem Ausbildung weder falsch noch richtig. Sie erkennen gut oder schlecht ausschließlich anhand von Gefühlsregungen ihres Besitzers. So wird ein schlechter Besitzer einen Fehler seines Hundes kritisieren und ihn dabei zwangsläufig verunsichern und demotivieren. Ein guter Hundebesitzer wird einen Fehler ignorieren, die Übung kommentarlos von vorne beginnen und weiter motivieren.
Hunde möchten gerne gefallen!
MACH ETWAS DARAUS!
Bleibt mir gewogen
Manfred Gibisch