Man kann nicht alles auf die Gene schieben
Ich möchte diesmal gestresste Hundeeltern dazu animieren, sich Gedanken über das gezeigte Verhalten ihres Hundes zu machen. Weil.....man kann nicht jedes Verhalten einfach auf dessen Gene schieben.
Es ist eher so, dass ein bedingtes Verhalten (Hundetypisch), zwar mit genetischen Grundlagen zusammenhängt, aber anderseits nicht alles zwingend weiter vererbt werden muss. Oft liegt es ja einfach daran, dass man als Hundehalter unerwünschtes Verhalten unterstützt, eingeschlichenes zu lange toleriert (duldet) und es so , wenn auch unabsichtlich, fördert .
Es ist wie bei allem was wir tun immer leicht eine Veranlagung als Selbstläufer zu fördern. Dagegen aufwändig,.es auszuschleichen. Es braucht viel Zeit, kraftraubende und tragfähige Strategien, um solches wieder zu ändern. Einmal gelernt ist halt eben gelernt. Aber sich in das Unabänderliche einzufügen wäre zweifelsfrei das schlechteste Mittel aller Möglichkeiten.
Entscheidet die Rasse über Wohl und Wehe?
Unterscheiden sich die Vielzahl von Rassen eigentlich wirklich so stark voneinander wie wir das immer glauben? In Abwandlung auf diese Frage von Richard David Precht hätte ich eine philosophische Antwort dazu.
„Wer bin ich - und wenn ja, was für eine Rasse?“
Die FCI (Federation Cynologique Internationale) beschreibt in ihrer Rassenomenklatur zurzeit über 360 Rassen. Dabei sind viele Hunde der sogenannten Natur oder urtümlich beschriebenen Rassen noch nicht mit eingerechnet. Auch viele
Viele Hirtenhunde wie z,B. der aus Griechenland stammende Hellenikos Poimenikos oder der in Rumänien beheimatete Ciobănesc Românesc Carpatin gelten dort nicht als Mischlinge.
Neben den standardisierten Rassen drängen auch immer mehr sogenannte „Designerhunde“ auf den Markt. Zwischen Cockapoos, Labradoodles Goldenpoodles oder Sprocker gibt es heutzutage fast nichts mehr, was man auf dem Markt der Eitelkeiten kaufen kann. Ich traue mich fast gar nicht, diesen Hunden das Stigma eines Mischlingshundes aufzudrücken. Verwechselst du heute einen Goldenpoodle mit einem Mischling, weißt du gleich woher der Wind weht.
Und wenn wir schon mal dabei sind, auch die unzählige Kuriositäten und Diversitäten die wir aus ganz Süd- und Osteuropa importieren sind nicht immer nur Mischlinge. Sehr oft stammen diese von Hirten die ihre Hunde auf Gebrauchsfähigkeit selektieren und züchten.
Und nur, weil Menschen dazu neigen, jedem und allem einen Stempel aufzudrücken, gehört doch jeder Einzelne davon in erster Linie zu der Ordnung der Raubtiere und danach zu der Unterordnung der Hundeartigen und erst danach in die Familie der Hunde.
Ach wie gut, dass niemand weiß…
Rein biologisch gesehen, dürfte man bei den heutigen Züchtungen eigentlich gar nicht von einer eigenen Rasse sprechen. Auch wenn mittlerweile jeder Hund sein eigenes phänotypisches (sichtbare Eigenschaften) Mäntelchen umgehängt bekommen hat, definiert sich jeder einzelne davon trotzdem nur über seine Art.
Ich besitze seit Jahrzehnten ausschließlich Hunde der selben Rasse und kann bestätigen, dass kein einziger von meiner Rasselbande dem klassisch vorgegebenen Wesensstandart seiner angedachten Rasse gleicht. Auch ist keine meiner Damen automatisch „well to please“ auf die Welt gekommen nur weil deren Rassebeschreibung es so vorgibt. Ob diese Apportierhunde mit ihren gezüchteten Anlagen daher als Familienhund auch immer nur Freude machen, sei anheim gestellt. Ja es stimmt -sie wollten gefallen- ob sie diese Veranlagungen aber nur für sich oder wirklich nur für mich ausleben, sei dahingestellt.
„Gelernt oder Angeboren?“
Mit der vergleichenden Verhaltensforschung von Hunden haben sich schon viele Gelehrte den Kopf zerbrochen. Dabei ist immer nur die Frage, wer über was geforscht und gefunden hat. Das gewonnene Wissen wird immer nur eine Introspektion (Selbstbeobachtung) eines Verhaltens darstellen und bleibt somit ein theoretischer Ansatz. Nachfolgend habe ich dazu einige diverse Begriffe zu verschiedenen Lehrmeinungen zusammengetragen. Es ist daher für Hundebesitzer wirklich sehr interessant zu hinterfragen, ob jetzt der eigene Hund nur durch sein typisches Verhalten oder letztlich doch nur über seine Erfahrung und seine Umwelt geprägt wurde.
Nativismus
In der Psychologie streitet man sich bis heute darüber, ob der Nativismus nur eine Theorie darstellt, welcher besagt, dass jede natürliche Begabung von Geburt im Gehirn verankert ist oder ob nur vermutet wird, dass jedes Lebewesen als „tabula rasa“, also als unbeschriebenes Blatt, auf unsere Welt kommt.
Behaviorismus
Hierbei spricht Noam Chomsky davon, dass jedes Säugetier mit einer Reihe von Fähigkeiten auf die Welt kommt, welches es befähigt, andere Fähigkeiten zu erlernen. Charles Darwin spricht davon, dass Verhaltensweisen durch die Evolution entstanden und durch Vererbung weiter gegeben wird. Dabei geht man davon aus, dass jedes Verhalten immer auf einen Reiz hin erfolgt oder wenigstens davon beeinflusst wird. Und weil es auf jeden Reiz auch eine Antwort geben muss, spricht der gemeine Hundetrainer gerne und viel über klassische oder operante Konditionierung.
Instinkt
Auch zu diesem Thema gibt es viele Theorien und verschiedene Meinungen. Ich möchte dazu nur den Verhaltensforscher Konrad Lorenz zitieren „Instinkt ist ein Verhalten, welches vom Jungtier nicht erst gelernt werden muss“. Er beschreibt den Instinkt als einen Mechanismus zur Verhaltenssteuerung welcher wiederum nur über einen Schlüsselreiz funktioniert. Er wird nur aktiviert, wenn er über das zentrale Nervensystem (ZNS) motiviert wird. So kann ein Instinkt auch nur über eine vorherige Erfahrung angesprochen werden und findet auch nur innerhalb einer Art und ohne vorheriges Lernen statt.
Triebe
Nach Sigmund Freud besteht ein Trieb darin, innere Spannungszustände nach außen weiter zu leiten, um diese befriedigen zu können. Der Psychoanalytiker Mark Solms postuliert auch folgendes dazu: „Ein Trieb wird erst zu einem Trieb, wenn ein Bedürfnis vorliegt. Man kann davon ausgehen, dass Instinkte und Triebe in Korrelation zueinander stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Es kommt somit zu einer wechselseitigen Beziehung. So kann ein Trieb nur stattfinden, wenn er über einen Affekt, einen Impuls, einer Appetenz (Bedürfnis) oder die Lust angesprochen wird. Kein einziges Verhalten ist für sich isoliert, sondern ist kausal mit der Motivation und der eigenen Persönlichkeit gekoppelt.
Meine Überzeugung
Es gibt meiner persönlichen Meinung nach nur zwei große Triebe die auch wirklich evaluiert worden sind. Der erste ist der, der Selbsterhaltung und der zweite ist der der Arterhaltung. Beide sind dominant und fördern resp. bremsen dabei andere Trieb- und Instinktanlagen. Sie bestimmen dabei niemals ein Wesen oder den Charakter eines Tieres.
Verhalten
Erst kommt das Fressen und erst danach die Moral
Der Behaviorismuss konnte nachweisen, dass viele Verhaltensweisen eher erlernt als angeboren sind. So weiß man, dass bei allen komplexen Verhaltensweisen ererbte und erlernte Faktoren zusammenwirken. (Stangl, 2022). Hierbei spricht man von sogenannten Basistrieben welche die Grundbedürfnisse jedes Lebewesen befriedigen. Die sogenannten angeborenen Triebe lassen sich daher nur auf den Drang der Selbsterhaltung und auf den Drang der eigenen Arterhaltung begrenzen. Sigmund Freud spricht dabei von dem sogenanntem „Es“ und so werden sich Triebe und Gene immer der Umwelt anpassen und sind daher modulierbar. Sie können sich gegenseitig positiv beeinflussen oder im anderen Fall sogar in Konkurrenz zueinander stehen.
Typisch Rasse, typisch Mischling
Einfluss auf das Verhalten
Man kann nicht automatisch davon ausgehen, dass jeder Welpe sein weiteres Leben mit einer sozialen „Stigmatisierung“ zu kämpfen hat, nur weil sein phänotypisches Erscheinungsbild oder seine Herkunft das vorgaukelt. Trotzdem verknüpfen viele Hundekäufer das Erscheinungsbild ihres Lieblings auch automatisch mit dessen genotypischen Anlagen. Das, was man gemeinhin als typisch annimmt, gleicht in Wirklichkeit einer Wundertüte. Ja, das Leben ist kein Schlutzer.
Das Verhalten eines Hundes ist weit mehr als nur das genetische Erbe seiner Eltern. Vom Rüden bleibt meistens eh nur sein guter Ruf und eine Staubwolke übrig welche er nach der Zeugung hinterlassen hat. Dieses Schicksal vereint Hundewelpen der ganzen Welt gleichermaßen. Natürlich darf man das Erbe einer züchterisch spezifisch gewollten Rasse und deren Veranlagungen nicht negieren. Trotzdem sollte man mittlerweile verstanden haben, dass eine Persönlichkeit nur sekundär über Zucht, sondern primär über Umwelterfahrung und Erlerntem über Jahre hinaus geprägt wird. Das Wesen eines Hundes über Zucht zu beeinflussen wäre nahezu unmöglich.
"Der Rassebegriff ist nichts anderes als ein gedankliches Konstrukt des Menschen"
Annegret Faber
Juni 2020, MDR
Veranlagung - Umwelteinfluss - Besitzer
Jeder Hund, ob Rasse oder „Divers“, kommt mit seinen eigenen epigenetischen Informationen auf diese Welt. Diese kontrollieren und bestimmen schon die Entwicklung und Wachstum von Embryonen im Mutterleib. Sie modellieren durch Umwelteinflüsse wie Stress, traumatische Erlebnisse, Krankheiten oder mangelnde Ernährung und prägen so die gewollten gezüchteten Anlagen jegliches Hundes in erheblichem Maße mit. Solche Informationen können bis in die nächste und übernächste Generation weiter vererbt werden. Weil ich vorher schon mal die Rüden mit „ich bin dann mal weg“ brüskiert habe! Diese können zwar ihre epigenetische Informationen (Entwicklung eines Lebewesens) an die Welpen weiter geben. Weil sie aber so gut wie nie an der Aufzucht ihrer Nachkommen beteiligt sind, werden viele Charakterwesenszüge der Welpen von der Hündin und von der Umwelt geprägt.
Zum Thema (Genetik und Epigenetik) äussert sich Professor Tosso Leeb, Direktor der Genetikabteilung der Vetsuisse der Uni Bern wie folgt:„Wie bei vielen anderen Merkmalen wird das Verhalten eines Hundes sowohl durch Genetik und die Umwelt gesteuert“. Soweit besteht Einigkeit in der Fachwelt. Wie hoch allerdings der jeweilige Anteil von Genetik bzw. Umwelt für die Ausprägung des Verhaltens sei, sei heute noch nicht so klar und werde lebhaft diskutiert. (Nature or nurture)
Eine züchterisch gewollte Veranlagung ist daher nichts anderes, als der Versuch einer gezielten Selektion von mehr oder weniger ausgeprägten Trieben oder Veranlagungen.Laut Biologe Udo Gansloßer erkennt man das Wesen eines Rassehundes trotz durchgeführten Verhaltensprüfung bei jungen Hunden manchmal erst nach ein bis zwei Jahren. Beeinflusst und verfälscht wird das Ergebnis zudem auch durch dessen momentane Umwelt und von auslösenden Stressfaktoren. Also kann man als Käufer nur die theoretischen Anlagen eines Rassehundes vermuten und hoffen, dass man sich keine Wundertüte mit mit nach Hause genommen hat.
Besitzer sollten daher früh anfangen, die gezeigten Anlagen zu erkennen, diese zu fördern oder im anderen Falle solche frühzeitig auszubremsen. Hunde sind leider alle opportunistisch veranlagt und daher sollte eine Erziehung nie nach dem Prinzip des geringsten Widerstandes stattfinden. Auf der anderen Seite sollten erzieherische Maßnahmen aber auch nie einem kollektiven Gruppenzwang (Hundeschule) unterworfen sein.
Und wer spricht über mich?
Es gibt Menschen, die würden sich immer für einen Hund aus dem Tierheim oder aus dem Ausland und gegen eine gezüchtete Rasse entscheiden. Über deren Motivation welche sich dahinter versteckt, sollte und darf weder diskutiert noch spekuliert werden. Und doch, obwohl es ja eigentlich egal wäre, interessiert man sich doch irgendwie immer auch für dessen Ahnengalerie. Spätestens dann wird dessen Verhalten, seine Körpergröße, seine Fellfarbe, die Form seiner Ohren oder seine Rutenstellung mit einem Rassehund verglichen. Manche gehen dabei sogar so weit, sich einen Gentest zu kaufen, nur um die Vorfahren ihres windhundgedackelten Pudelmopses zu entschlüsseln. Die Frage dabei ist doch nur, ob sich dabei der Hundebesitzer oder das Labor einen Nutzen davon verspricht? Und was passiert? So wird dieser Mischling sofort wieder in eine Schublade gesteckt um ihn an irgendeiner nebulösen Rasse festzuzurren. Schon ist man dabei in die die gleiche Falle wie die der Rassefetischisten gestolpert, welche gerne eine gewisse Erwartungshaltung an ihren Hund voraussetzen. Wir erinnern uns, das Verhalten eines Hundes ist weit mehr als nur das Erbe seiner Ahnen.
Besitzer von adoptierten Hunden sollten sich aber weniger für dessen Genetik sondern mehr für das Prinzip von Ursache und Wirkung interessieren. Es heißt zu verstehen, dass sein momentanes Ich lernen muss, sich von alten gelernten Reiz-Reaktionsmustern zu lösen. Weil jegliche Verhaltensweise in der Gegenwart die Vergangenheit mit bestimmt, wäre es für den „Erziehungsberechtigten“ enorm wichtig, den Erfahrungsschatz seines Hundes mit neuen positiven Ereignissen zu verknüpfend und behutsam beginnen, alte Erwartungshaltungen auszuschleichen.
Der Casus knacksus dabei, auch sie sind, wie schon vorher erwähnt, Opportunisten. Sie haben Pokerfacegesichter, beherrschen die Mimikry (rapid facial Mimikry) und werden daher ihr gelerntes Repertoire anfänglich nicht komplett auf den Tisch legen. Leider wird dieses Verhalten zu oft negiert und darauf spekuliert „das gibt sich schon im Laufe der Zeit“. Oder man beginnt dessen Verhalten mit obskuren Erziehungsmethoden umzumodeln.
Über die Kuriositäten diverser Erziehungsstrategien von adoptierten Hunden habe ich schon öfters in meinem Blog hingewiesen. Bei Adoptionen wird es immer eine Geschichte hinter der Geschichte geben. Das positive aber dabei, angeborene Verhaltensweisen, ja selbst Gene, sind nicht in Stein gemeißelt. Vererbungsketten sind nicht endlos und lassen sich durch fundierte Erziehung, durch Zeit und durch noch mehr Zeit aufbrechen. Jedes Verhalten eines Hundes spiegelt immer seine genetische Disposition, seine erlernte Erfahrung und seine momentane Emotions- und Motivationslage wieder. Für das schnelle Vergnügen ist Hundeerziehung einfach nicht gemacht.
Eine philosophische Betrachtung
Jeder Hund hat seine eigene ganz private Biografie und ein Irrtum wäre es zu glauben, dass diese nur aus weißen Blättern bestünde. Der Philosoph John Locke (1632-1704) ging davon aus, das jeder als Tabula rasa, also als unbeschriebenes Blatt zur Welt kommt (nature-nurture). Kognitionswissenschaftler wie z.B. Konrad Lorenz belegten aber, dass jedes geborene Tier mit seinen eigenen Persönlichkeitsmerkmalen und eben nicht als weißes Blatt zur Welt kommt. Der Unterschied besteht nur darin, dass bei der einen Biografie eben mehr und bei der anderen dafür weniger Seiten beschrieben wurden. Es ist ganz einfach so, dein Hund hat dir sein Leben in deine Hand gegeben. Lies seine Biografie und schreibe sie weiter.
Bleibt mir gewogen
Manfred Gibisch

